Entwicklungsbezogene Traumafolgestörungen
Was ist ein Entwicklungstrauma?
Anders als bei einem Schocktrauma (z.B. Verkehrsunfall, Raubüberfall) handelt es sich bei einem Entwicklungstrauma nicht um ein einmaliges Ereignis, sondern um eine wiederholte bzw. lang andauernde, zwischenmenschliche Traumatisierung durch die Bindungspersonen im frühen Kindesalter.
Diese chronische Traumatisierung führt zu massiven Brüchen in der kindlichen Entwicklung mit gravierenden Auswirkungen auf das Gehirn und die Psyche.
Zusätzlich werden betroffene Kinder sensibler gegenüber zukünftigen Stresssituationen, sodass bereits geringe Belastungen zur Überforderung führen und z.B. impulsive oder selbstschädigende Reaktionen auslösen können, die vom Umfeld nicht verstanden, sondern falsch interpretiert werden.
Anstatt das Verhalten mit einem vorwurfsvollen „Was ist bloß los mit Dir?“ zu verurteilen, wäre es viel wichtiger und zutreffender, mitfühlend zu fragen: „Was ist Dir passiert?“. Genau dieser Frage ist man in der sogenannten „ACE Studie“ nachgegangen.
Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie
In der epidemiologischen ACE Studie (Adverse Childhood Experiences, sinngemäß: schädliche Kindheitserfahrungen) wurden 17.337 Erwachsene zu ihren Kindheitsbelastungen vor dem 18. Lebensjahr befragt, und ihr Gesundheitszustand wurde erhoben.
Der Fragebogen enthält zehn Kategorien der häufigsten Kindheitstraumata: fünf dieser Kategorien beziehen sich direkt auf die befragte Person, und weitere fünf Kategorien erfassen belastende Familienverhältnisse.
Für jede Frage, die mit „Ja“ beantwortet wird, wird ein Punkt gezählt. Alle Punkte zusammen ergeben den ACE Wert (0 – 10).
Die Auswertung der ACE Studie hat ergeben, dass Kindheitsbelastungen wesentlich häufiger vorkommen als man annehmen würde:
- 64% der Befragten hatten zumindest einen ACE Punkt
- 38% sogar 2 oder mehr ACE Punkte.
Häufigkeit der ACE Werte

Zur deutschen Version des Fragebogens: Ingo Schäfer, Katja Wingenfeld und Carsten Spitzer (2009) ACE-D; Deutsche Version des „Adverse Childhood Experiences Questionnaire (ACE)“. Universität Hamburg.
Entwicklungsbedingte Traumafolgestörungen im Erwachsenenalter
Als Folge der schädlichen Kindheitserfahrungen ließ sich eine eindeutige Beziehung zwischen Traumatisierungen in der Kindheit und der Gesundheit im Erwachsenenalter nachweisen.
Je mehr ACE Punkte jemand hatte, umso größer war die Wahrscheinlichkeit für gesundheits-schädigendes Verhalten, wie z.B. Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum oder gestörtes Essverhalten, in dem Versuch, damit den inneren Stress zu regulieren bzw. zu betäuben.
In weiterer Folge stieg auch das Risiko für daraus resultierende körperliche Erkrankungen wie z.B. Herzkrankheiten, Diabetes, massives Übergewicht, Lebererkrankungen oder Krebs.
Ein ACE Wert von ≥4 erhöhte das Risiko für Depressionen sogar um das 4-fache im Vergleich zu einem ACE Wert von 0.
Die nachstehende Grafik zeigt die gravierenden Folgen von Kindheitstraumata, die sich – sofern sie unbehandelt bleiben – über die gesamte Lebensspanne auswirken und die Lebensqualität der Betroffenen massiv belasten.

Heilsame Erfahrungen dank Psychotherapie
Was Menschen mit traumatischen Kindheitserfahrungen gemeinsam haben, ist:
- ein sensibilisiertes Stresssystem aufgrund der ständigen Überaktivierung in der Vergangenheit
- Stressbewältigungsstrategien, die früher kurzfristig entlastend waren, langfristig aber leider gesundheitsschädlich sind
- mangelnde positive Beziehungserfahrungen, in denen sie sich akzeptiert, sicher, geborgen, wertgeschätzt und willkommen gefühlt haben
Genau hier setze ich mit Psychotherapie an, um all das zu ermöglichen, was früher nicht vorhanden war: einen sicheren, geschützten Raum sowie Akzeptanz, Verständnis und Mitgefühl für die schwierigen Erfahrungen der Vergangenheit.
Die Wunden von damals sind zwar im Beziehungskontext entstanden, aber sie können in Beziehungen auch heilen, wenn man sich dort endlich sicher, angenommen und wertgeschätzt fühlt.
Die Methoden, die ich in diesem Prozess nutze, sind:
- Das Internal Family Systems Modell, das die heilsame Arbeit mit inneren Anteilen, die in der Vergangenheit verletzt, vernachlässigt oder missbraucht wurden, ermöglicht, sodass Traumata sicher verarbeitet werden können.
- Das Safe and Sound Protocol, das dem Nervensystem dabei hilft, endlich ein inneres Gefühl der Stabilität und Sicherheit zu entwickeln.
- Achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Übungen haben sich bei der Reduktion von Stress, Depressionen und Ängsten als besonders wirksam erwiesen. Darüberhinaus verbessern sie die Emotionsregulation, ermöglichen Selbstkontrolle, stärken das Selbstbewusstsein und fördern die Selbstakzeptanz.
Weiterführende Links:
Im 1. Video (klick aufs Bild) geht es um den Zusammenhang zwischen Trauma und dem Nervensystem und daraus resultierenden Konsequenzen. Darin wird auch die ACE Studie erwähnt.
Das Video ist auf englisch mit deutschen Untertiteln, die automatisch eingeblendet sind.
Das 2. Video „Step inside the circle“ (klick aufs Bild) ist im Rahmen des „Compassion Prison Project“ aufgenommen worden. Die Initiatorin Fritzi Horstman befragt in einer sehr eindrucksvollen Übung Gefängnisinsassen zu ihren Kindheitserfahrungen. Sie liest dabei den ACE Fragebogen vor und bittet alle, für jedes „Ja“ einen Schritt in den Kreis vorzutreten.
Das Video ist auf englisch. Man kann in den Einstellungen deutsche Untertitel aktivieren.